Wie viel ist viel?

Einige der erfreulich zahlreichen Diskussionen zu meinem Artikel vom Dienstag drehten sich um die Frage, ob die grob geschätzten 500.000 politisch bewussten Netzbewohner, die ich ausgemacht hatte, denn nun eigentlich viele seien? Immerhin sei das ja schon eine Großstadt voll mit Menschen, meinte Daniel, und DonDahlmann betonte, die Bewohner dieser Stadt seien schließlich kommunikative Multiplikatoren, „deren Meinungshoheit teilweise bin die klassischen Medien“ reiche.

Ich kann dem grundsätzlich zustimmen, glaube aber, dass man sich die 500.000 Netizens nicht als Bewohner einer Stadt vorstellen sollte – sondern zurzeit noch eher als Siedler einer Mondkolonie. Und da liegt das Problem, das ich mit dem Bild der „Blase“ beschreiben wollte. Wir wären wirklich nicht nicht so wenige, wenn wir denn nicht nur untereinander vernetzt wären, sondern in politischer Hinsicht auch mit dem Rest der Gesellschaft. Tatsächlich aber glaube ich, dass die Grenze zwischen Netzbewohnern und „normalen“ Menschen immer noch ziemlich scharf ist. Man lässt sich meiner Ansicht nach leicht täuschen, wenn man liest, dass inzwischen zwei Drittel aller Deutschen online sind. Oder wenn man liest, dass Amazon und Ebay zu den bekanntesten Marken in Deutschland gehören.

Es gibt tatsächlich ein komplett im Mainstream angekommenes Netz, das sich um Konsum und Nachrichten rankt, vielleicht noch um YouTube. Aber es gibt eben auch ein Netz daneben, das nicht aus Blogs und Twitter besteht, sondern sogar noch aus Flickr, Delicious & Co. All das sind Angebote, die zwar von den Menschen als sebstverständlicher Alltagsbestandteil genutzt werden, die in der Blase leben. Doch den  Menschen außerhalb sind diese Angebote nicht nur unbekannt, sondern auch unverständlich. (Erklär doch mal jemandem Flickr, dessen Netzkonsum sich auf Email, YouTube und Wer-kennt-wen beschränkt!)

Nun sind es aber natürlich genau diese „Web 2.0“-Angebote, die ausschließlich von einer scharf umrissenen Gruppe von Menschen genutzt werden, die erst die Diskussionen nötig machen, in denen die Piratenpartei die gute Sache vertritt. Für die Menschen außerhalb der Blase hat die Piratenpartei scheinbar überhaupt keine Relevanz, auch wenn das bei verantwortungsvoller Einschätzung der Wichtigkeit des Netzes natürlich anders ist.

Damit also die halben Million Netizens eine wirklich politische Kraft werden können, muss die Grenze zwischen den Netzbewohnern und den anderen weicher werden. 500.000 Menschen genügen auf Dauer nicht, um politische Beachtung zu finden. Wegen der 1,3% Stimmen für die Republikaner macht sich ja auch niemand mehr Sorgen, dass Deutschland demnächst wieder braun gestrichen wird.

Und genau an dieser Stelle mache ich mir eben auch Sorgen um den Namen der „Piraten“. Der Name befördert die Auflösung der Blasengrenze nicht, sondern er behindert sie. Im gestrigen SpOn-Interview auf das Thema angesprochen, findet Andreas Popp, der Europa-Spitzenkandidat der Piraten, keine mich überzeugende Antwort:

SPIEGEL ONLINE: Sie haben einen ironischen Parteinamen gewählt, der auch an das Thema Raubkopie denken lässt. Verhindern Sie damit nicht, dass Ihre Partei überhaupt ernstgenommen werden kann?

 

Popp: Der Name ist bewusst gewählt, um zu provozieren. Anfangs erzeugt er Gelächter, aber er prägt sich ein. Auf den zweiten Blick soll er die Frage aufwerfen: Was bringt einen Menschen, der ernsthafte Politik machen will, dazu, sich „Pirat“ zu nennen?

Tut mir leid, aber das ignoriert das eigentliche Argument, das ja gerade unterstellt, dass der Name „Piraten“ verhindert, als Macher ernsthafter Politik wahrgenommen zu werden. Spätestens seit die APPD in Deutschland zu Wahlen antritt, darf niemand mehr davon ausgehen, dass alle Partien auf dem Wahlzettel ein politisch tragfähiges, unironisches Programm vertreten. Wenn ich noch einen Grund gebraucht hätte, gegen den Namen zu sein, dann hat ihn mir dieses Interview geliefert. (Und im übrigen, Snorki, ist die einzige Alternative zu einem provozierenden Namen nicht gleich ein stinklanweiliger, das haben die „Grünen“ und die „Linke“ schon vor einiger Zeit bewiesen. Aber auch die „Grauen Panther“, jetzt nur noch GRAUE, oder die Newropeans zeigen, dass ein ungewöhnlicher, Aufmerksamkeit erzeugender Name nicht gleich abschreckend sein muss.)

Um bei der Bundestagswahl einen öffentlichkeitswirksamen Wahlerfolg zu erzielen, wie das seinerzeit etwa die Grünen gelang (3,1% bei der ersten Europawahl, 1,5% bei der ersten Bundestagswahl 1980, braucht es schon an die 1 Mio Stimmen. Und um die 5%-Hürde zu überspringen werden sogar rund 2,5 Mio Stimmen benötigt (ca. 48 Mio abgegebene Zweitstimmen bei der Bundestagswahl 2005).

Bis dahin ist es also noch ein weiter Weg. Und wenn wir nicht den langen Marsch durch die Generationen antreten möchten, dann ist noch sehr viel Überzeugungsarbeit notwendig, bis eine Lobbypartei der Netzbewohner den Einzug in den Bundestag schafft.

7 Gedanken zu “Wie viel ist viel?

  1. Eine Mondkolonie ist meiner Meinung leider auch nicht treffend. Es gibt eine zu große Schnittmenge als das man von zwei unterschiedlichen Himmelskörpern sprechen könnte. Als alter Star Trek Fan denke ich eher an die Unimatrix Zero aus der Voyager Serie. Überall verteilte Menschen, die sich an einem digitalen Ort treffen um Entscheidungen daraus in die realle Welt zu tragen.

  2. Von den Grünen hatte man vor 25 Jahren auch noch gedacht das sie eine reine Spaßpartei und damit unwählbar seien. Eine Partei die sich für die Umwelt einsetzt, mit Wollpullovern und Sonnenblumen in den Bundestag geht, 5Mark für den Liter Benzin fordert usw. Es war halt die damalige Generation die mit den Grünen nichts anfangen konnte. Es gab wichtigeres als Umwelt- und Mutterschutz.

    Eine etablierte Partei die heutzutage solche Programmpunkte ausklammern würde, würde sich der Lächerlichkeit preis geben. Weil die Generation sich geändert hat. Die Generation von damals ist die Generation von heute. Umweltschutz ist wichtig. Regenerative Energien sind machbar. Und die Grünen werden ernst genommen.

    Die Piraten werden nicht heute oder morgen politische Erfolge ernten. Aber sie werden mit der Generation wachsen die heute die unter 18 jährigen darstellt. Die Generation die an einen Namen wie „Die Piraten“ weder etwas anstößiges noch etwas provokantes finden. Die mit solchen Parteinamen aufwachsen und für die es Normalität sein wird das eine Partei sich Piraten nennt. Politik ist etwas das langfristig funktioniert. Man könnte noch auf eine Revolution die über Nacht stattfindet hoffen, dann sollte der Name der Partei aber auch kein Hindernis sein. Revolutionen finden aus Überzeugung statt, nicht wegen einen Namen.

    Die Piraten werden wahrscheinlich kaum Wähler von den etablierten Parteien abwerben können. Das liegt aber mit Sicherheit an ihrem Parteiprogramm, nicht an ihren Namen. Wer weis, vielleicht haben die Piraten in 5 oder 10 Jahren ein ausgereiftes Parteiprogramm und können dann auch Wähler von den großen Parteien abwerben.

    75% Wahlbeteiligung? Ich tippe mal eher auf 70% bei der nächsten Bundestagswahl. Und irgendwas um die 65% bei der übernächsten. Hält der Trend zu einer immer geringeren Wahlbeteiligung an, könnte 2017 eine Partei mit weit weniger als 2 Mio. Stimmen in den Bundestag einziehen.

  3. vincent schreibt:

    Die mad men aus der werbebranche haben es längst erkannt: Der name ist nur als klang bedeutsam, die bedeutung dieses klanges aber wird sich mit der zeit dem wesen des produktes anpassen; sofern der ear-catch-faktor stimmt und der name einigermaßen häufig fällt, that is. Der ear-catch-faktor ist m.e. im grünen bereich und der bedeutungs- und assoziationswandel des namens wird sich bestimmt bald einstellen und als piraten werden dann ganz besonders seriöse e-techniker und informatiker — dann in der mitte der gesellschaft — bezeichnet. In zwanzig jahren! Ihr werdet’s schon sehen!

  4. @vincent
    Dem stimme ich zu. Allerdings geben die „Mad Men aus der Werbebranche“ auch viel Geld dafür aus, einen guten Namen für ihre Produkte zu finden, weil sie wissen, dass ein guter Name nicht erst mühsam durch das Produkt geprägt werden muss, sondern von vornherein positiv auf das Produkt abfärbt.

    Und im übrigen stad ich im jahrhundertealten Universalienstreit schon immer auf Seite der Realisten ;-)

  5. Im Prinzip mag ich Deine Blasenartikel sehr. Es tut ja immer gut, wenn einem einer aus der Seele spricht. Einen Irrtum möchte ich aber korrigieren: Es gibt mehrere Blasen. Mindestens zwei. Vielleicht noch mehr.
    „Meine“ Blase, in der auch ein Großteil der Bekannten lebt, kommt weitgehend ohne Web 2.0 aus. Wer ernsthaft und viel arbeitet (teils mit durchaus modernen web-bezogenen IT-Jobs), hat oft keine Zeit für Twitter, Flickr & Co, hat höchstens mal an einem müden Feierabend ganz kurz reingeschaut. Das hindert uns Bewohner der „Blase 1.0“ übrigens nicht, Teilnehmer der Online-Petition zu sein. Wohl aber daran, an Twitter-Umfragen teilzunehmen…

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