Will man nach so einem Abend meckern? Etwa den alten Spruch zitieren, dass man lieber fünfmal 1-0 gewinnen sollte als einmal 5-0? Letztlich darf man das aber wohl auch so sehen: Die Fortuna hatte in den ersten beiden Rückrundenspielen jeweils die Möglichkeit gehabt, das Spiel zu ihren Gunsten zu entscheiden und doch verloren, am Ende nicht einmal unverdient. Da wirkt dieses Spiel im Vergleich wie der gerechte Ausgleich, in dem nach dem 1-1 nicht viel ging, das Spiel auch hätte verloren gehen können, bis der Mann des Abends kam, vom Trainer bis auf’s Blut gereizt: Kevin „The Kid“ Kruth – jeder Schuss ein Treffer!
Aber der Reihe nach.
Die schlimme Zeit der Spielabsagen ist endlich vorbei, seit in Köln der Frühling seinen wohl letztgültigen Einzug gehalten hat. Die Fortuna, der zahlreiche Nachholspiele ins Haus stehen, hatte den Auftakt in die Rückrunde sauber verpatzt: Eine Niederlage gegen Alemannia Aachen und eine Niederlage bei der abstiegsbedrohten Hammer SV hatten die Mannschaft unter Zugzwang gebracht. Zu diesem, also unbedingt zu gewinnenden Heimspiel kam nun ausgerechnet ein Team, gegen das man sich vor nahezu exakt 20 Jahren in der zweiten Liga eine unvergessene Partie geliefert hatte, als beide Vereine noch um den Aufstieg in die 1. Bundesliga kämpften. Heute befindet man sich zwar wieder in derselben Tabellenregion, allerdings zwei Etagen tiefer (wenn man sich die 3. Liga kurz noch mal wegdenkt) in der Oberliga. Und auch um den Aufstieg geht’s aktuell nicht, sondern um einen etablierten Mittelfeldplatz und das Wahren eines hinreichenden Abstands vor den Abstiegsplätzen, wenn auch mit einer klitzekleinen Perspektive nach oben.
Wegen der sehr großen Personalsorgen der Fortuna hatte Trainer Mink vor dem Spiel sogar den wegen Displinlosigkeiten eigentlich suspendierten Cedric Mimbala zurück ins Team geholt. Trotz der Rotsperre von Stefan Hoffmann setzte Mink auf ein 4-2-3-1-System mit dieser Aufstellung: Möllering – Malsch, Mimbala, Schroden, Gran – Höffgen, Beckers – Maaßen , Blankenheim, Dahmani – Stasiulewski.
Die Taktik sollte sich zu Beginn des Spiels auszahlen. Die Fortuna setzte den Gegner im Mittelfeld unter Druck, gewann Bälle und spielte die mit kurzen Kombinationen schnell nach vorne, wo Stasi in bewährter Manier auf Höhe der gegnerischen Abwehrkette auf sein Stichwort wartete. Das sah alles wirklich gut aus und hätte auch schon früher als in der 15. Minute zum 1-0 führen können.
Es lohnte sich aber zu warten, denn mit diesem ersten Treffer trug sich der beste Spieler der Partie in die Annalen ein: Christian Beckers. Auf einer der beiden Sechserpositionen war er der dominierende Mann, fing gegnerische Angriffe mit sehr gutem Stellungsspiel und Zweikampfstärke früh ab und, was für ein Unterschied zu sonst: Er machte das Spiel im Anschluss sofort schnell! Da wurde nicht erst mal auf den Ball getreten, nicht nach hinten oder zur Seite gepasst, sondern da gingen der Blick nach vorne und der Ball steil. Dass dabei auch mal was schiefgeht, ist in der NRW-Liga normal. Aber der erkennbare Wille, die kurzfristige Unordnung des Gegners auszunutzen: Das ist einfach moderner Fußball, so muss ein Sechser spielen.
In der 15. Minute: Angriff abgefangen, kurzer Pass von Beckers auf Blankenheim (?), der legt raus auf den linken Flügel, und als Hamdi Dahmani dann einen gut getimten und scharfen Ball in den Strafraum zog, war Beckers schon bis dahin durchgestartet und nickte lässig hinter dem überflankten Torwart ein. Zwar kein spektakuläres, aber doch ein Traumtor. Denn genau so geht Fußball, wenn man ihn als taktisch modern geschulte Mannschaft spielt!!!
Kurz darauf dann aber zwei Szenen, die zum Knackpunkt des Spiels hätte werden können. Erst einmal einer der üblichen, kurzen Steilpässe aus dem Mittelfeld auf Stasi, der 30 Meter frei auf den Keeper zusprintet – und vergibt. Wieder mal, wie schon in den letzten beiden Spielen, eine 100-Prozentige versemmelt und in diesem Fall die frühe Vorentscheidung verpasst. Aber Kopf hoch, Stasi, das wird schon wieder! Im Moment hat er einfach ein bisschen Scheiße am Fuß kleben. Die Ansätze sind da, der Wille ist da, die Gefährlichkeit ist da, nur die Präzision nicht. Aber Miro Klose hat’s ja auch geschafft!
Wirklich, wirklich ärgerlich dann der Ausgleich der Wattenscheider in der 28. Minute. Cedric Mimbala war bei einer Standardsituation mit nach vorne gegangen, auch der zweite Ball wurde noch mal steil auf ihn gespielt, so dass er vorne stand, als der Wattenscheider Befreiungsschlag vom verbliebenen Innenverteidiger, Käptn Schroden, an der rechten Außenlinie, kurz hinter der Mittellinie abgefangen wurde. Doch Schroden wartete, wollte nicht zum Torwart zurück spielen und den Ball auch nicht nach vorne schlagen. Keiner seiner Mannschaftskameraden kam ihm helfen, dafür stürzten sich drei Wattenscheider entschlossen auf ihn, luchsten ihm den Ball ab, ein schneller Konter, Querpass, 1-1. Ätzend.
Nach diesem Treffer war der Faden der Fortuna völlig von der Rolle (<–Rekordversuch in Metapherndichte), und Wattenscheid kam zu einigen guten Chancen. Schon vor dem Ausgleich hatte man einmal die Querlatte getroffen, aber nun war es nur noch Keeper Möllering (eine unfassbare Oliver-Kahn-Gedächtnisparade, erst mit einem Armwischer den Kopfballaufsetzer rausgeholt und sofort danach, schon wieder im Stehen, mit dem Fuß geklärt) und der aufmerksamen Innenverteidigung mit einem immer gut stehenden Cedric Mimbala zu verdanken, dass die Fortuna das Unentschieden mit in die Pause nehmen konnte.
Nach der Pause verflachte das Spiel dann erst einmal zusehends. Die Fortuna war zwar leicht feldüberlegen, kam aber nicht mehr zu Chancen. Insbesondere Stasi tat sich mit einigen überhasteten Abspielen als Kombinations-Senke hervor, so dass seine Auswechslung in der 66. Minuten logisch war. Keineswegs logisch war allerdings, dass Trainer Mink für Stasi nicht Kevin Kruth sondern Felix Bably brachte und den etwa ponygroßen und nicht direkt für seine Torgefahr gerühmten Flügelwirbler auf die Mittelstürmerposition beorderte. Was sollte der da? Das wusste Bably wohl selbst nicht so genau, allerdings bekam er auch keine guten Anspiele, und wenn, stand er im Abseits. Effekt dieser Personalmaßnahme: circa null.
Ganz anders dann in der 77. Minute: Kevin Kruth kam für Daniel Maaßen, Bably rückte auf den vertrauten und bis dahin von Maaßen gehüteten rechten Flügel, Kruth ging in die Hot Zone. 30 Sekunden später: Kurzer Steilpass an die Strafraumgrenze, Kruth war gestartet, nicht im Abseits und versenkte gegen den herausstürzenden Wattenscheider Torwart mit seiner ersten Ballberührung zum 2-1. Dass er anschließend laut schreiend und agitierend zur Trainerbank lief, zeigte jedem im Stadion deutlich, dass er mit seinem Einsatz wohl früher gerechnet hatte. In solchen Situationen weiß man allerdings nie, ob nicht doch der Trainer alles richtig gemacht hatte, denn in den letzten beiden Spielen war Kruth nicht überragend gewesen. So ein bisschen Wut kann da manchmal genau das sein, was ein Spieler braucht.
Jedenfalls war mit diesem Tor der Bann gebrochen. Die Fortuna beherrschte das Spiel jetzt nach Belieben und kam zu Treffern im Minutentakt. Erst Dahmani in der 80., wenn auch mit viel Glück: Er hätte den Ball eigentlich quer legen müssen, schloss eigensinnig selbst ab und bekam den gehaltenen Ball im Fallen noch einmal vor die Füße.
In der 82. Minute die endgültige Selbstdemontage der SG, mit einem Klassiker unter den Missverständnissen: Langer Ball der Fortuna in die Mitte der gegnerischen Hälfte, nur Kruth spritzt hinterher. Der Wattenscheider Torwart und Innenverteidiger gehen beide zum Ball, der Innenverteidiger köpft ihn sanft nach hinten, an seinem Torwarte vorbei, nur um sofort diesem zu kollidieren – und Kruth läuft locker mit dem Ball bis ins Tor durch.
Das 5-1, schon in der Nachspielzeit, war dann so ein Tor, wie es nur fällt, wenn alles klappt: Der Ball springt 20 Meter vor dem Tor auf, Kruth zieht einfach mal ab, trifft voll, und das Spielgerät macht einen sanften Bogen fast mitten ins Netz. Ach, juchheißa, was war das nur für eine Freude!
Am Ende also ein schöner, deutlicher Sieg, mit dem sich die Fortuna hoffentlich den ganzen Frust über den späten Rückrundenstart und die verlorenen Auftaktspiele von der Seele geballert hat. Dass der Gegner nicht vier Tore schlechter war, sondern bestenfalls ein oder zwei, und dass man so ein Spiel in der der ersten Halbzeit sogar verlieren kann – all das kann einem in so einer Situation mal gepflegt egal sein. Denn wie sagt mein Freund Don Willi immer so schön: Besser deine Mama weint als meine.
Spieler des Spiels: logischerweise Dreifachschütze Kruth, mal wieder Christopher Möllering, der sichere Cedric Mimbala, und überragend, wenn auch gegen Spielende leicht nachlassend: Christian Beckers. Wenn er diese Leistung bestätigen kann, dann könnte er nicht einfach nur ein sehr guter Wintereinkauf werden, sondern endlich auch der lange fehlende Spieler sein, der in der Mannschaft ein funktionierendes Scharnier zwischen Abwehr und Angriff bildet. Mit einer Achse wie Möllering – Mimbala – Beckers – Blankenheim/Glaser – Stasi kann einem in dieser Liga alles gelingen, wenn denn die Form und der Einsatz stimmen, wie gestern während rund 50 Spielminuten.
Am Ende: Alles Jubel!
Alle Fotos und Videos vom Spiel: Meine, Sebastian seine und palimphoto ihre.